Gemeinsamer Jahresbetrag – 45 % Leistungskürzung für Pflegebedürftige zu Hause

Im Arbeitsentwurf des BMG zur Pflegeversicherungsreform wird ein neuer §42a Gemeinsamer Jahresbetrag beschrieben.  Laut der geplanten Regelungen stehen für Verhinderungs- und Kurzzeitpflege 3.300 € p.a. zur Verfügung. Die stundenweise Verhinderungspflege (§39 SGB XI) kann bis zu 40 % des gemeinsamen Jahresbetrags umfassen.

Gegenüber der heutigen Ausgestaltung (Verhinderungspflege + 50 % Kurzzeitpflege) bedeutet die vorgeschlagene Regelung eine Reduzierung des ambulant nutzbaren Leistungsanspruchs um 45 %. Gerade die stundenweise Verhinderungspflege ist für pflegende Angehörige eine wichtige Option, kurzzeitige Abwesenheiten kompensieren zu können: für die notwendigen Einkäufe und Besorgungen, eigene Arztbesuche, Berufstätigkeit oder das Familienleben. Bei demenzerkrankten Personen sind für die Angehörigen diese regelmäßigen, stundenweisen Unterbrechungen unabdingbar, um psychosomatische Erkrankungen zu vermeiden.

Die Fokussierung auf die tageweise Entlastung entspricht nicht der Realität in Pflegehaushalten. Trotz den Einsätzen der ambulanten Pflegedienste – meist am Morgen – ist ohne eine stundenweise Verhinderungspflege für pflegende Angehörige kein Freiraum für notwendige eigene Aktivitäten gestaltbar.  Die Hans-Böckler-Stiftung hat 2017 in einer Studie festgestellt, dass in Pflegehaushalten mit Einsatz eines ambulanten Pflegedienstes dennoch rund 90% der Pflegeleistungen von Angehörigen erbracht werden und nur 10 % von klassischen Pflegediensten übernommen werden. Eine Einschränkung der stundenweisen Verhinderungspflege führt damit automatisch in die Überlastung.  Dies wird zu einem enormen Druck auf vollstationäre Einrichtungen führen. Ebenfalls wird der Schwarzmarkt weiter wachsen.

Wird keine Kurzzeitpflege bzw. tageweise Verhinderungspflege in Anspruch genommen, verfällt der Anspruch in Höhe von 55 % des Gemeinsamen Jahresbetrages ersatzlos, was dem Ansatz, die ambulante Versorgung nachhaltig zu sichern, ebenfalls komplett widerspricht.

Der BBD schlägt daher vor:

Der Gemeinsame Jahresbetrag muss vollumfänglich auch für stundenweise, ambulante Verhinderungspflege nutzbar zu machen. Um das Risiko eines am Jahresanfang verbrauchten Gesamtbetrags und damit fehlender Finanzierung einer ggf. notwendigen Kurzzeitpflege zu umgehen, schlagen wir eine quartalsweise Nutzbarkeit mit Übertragungsoption auf die folgenden Quartale, analog der bestehenden Regelungen der 45b-Leistungen, vor.

Ebenfalls besteht das Risiko, dass der Gesamtbetrag als reine Budgeterhöhung der laufenden, regelhaften Pflegesachleistungen verwendet wird und eben nicht zur Kompensation von Verhinderungszeiten der Pflegeperson zur Verfügung steht. Beispielhaft kann durch eine „Verhinderungs-Erklärung“ der Pflegeperson eine Fehlverwendung vermieden werden.