Pflegekassen verhindern die Umsetzung des Gesetzes zur besseren Bezahlung von Pflege- und Betreuungsmitarbeitern

Köln, den 24. August 2022

Ambulante stundenweise Versorgung akut gefährdet
Pflegekassen verhindern die Umsetzung des Gesetzes zur besseren Bezahlung von Pflege- und Betreuungsmitarbeitern
  • Steigende Gehälter von Pflege- und Betreuungskräften gefährdet
  • Pflegekassen blockieren gesetzlich vorgegebene Anpassungen der Preise
  • Versorgung von bis zu 50.000 Pflegebedürftigen gefährdet

Der Bundesgesetzgeber hat zur Einführung der Tariftreueregelung mit der Einführung des §82c Abs. 1 und Abs. 2 eine unmissverständliche Festlegung getroffen:  gesetzlich vorgegeben steigen die Gehälter der Mitarbeitende in der Pflege und Betreuung ab dem 1. September 2022. Diese Entwicklung. Gesetzlich sind die Pflegekassen verpflichtet, die höheren Kosten entsprechend ab dem 01.09.22 zu refinanzieren. Damit will der Gesetzgeber erreichen, dass die bisherige Praxis der Pflegekassen, steigende Gehälter der Pflege- und Betreuungskräfte nicht zu refinanzieren, beendet wird. Der Bundesverband der Betreuungsdienste (BBD e.V.) begrüßt diese Vorgabe ausdrücklich. „Die Grundlage ist geschaffen, die Mitarbeitenden besser zu vergüten, ohne wiederkehrende rechtliche Auseinandersetzungen mit den Pflegekassen. Leider sieht die Realität anders aus.“, so Jörg Veil, Vorstandsvorsitzender des BBD.

Insbesondere die Pflegekassen in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg erkennen die steigenden Personalkosten jedoch nicht umfänglich oder gar nicht an. Gerade Pflege- und Betreuungsdienste, die zeitintensive, stundenweise Versorgungen erbringen, werden derzeit durch unzureichende Vergütungserhöhungen in der Existenz gefährdet. Denn in den Augen vieler Pflegekassen bietet das „klassische“ Preismodell von Leistungs-Paket-Preisen die Möglichkeit, durch Leistungsverdichtung die Personalmehrkosten aufzufangen. Leistungsverdichtung bedeutet, dass eine Versorgung von beispielsweise 20 Minuten auf 15 Minuten (und ggf. sogar noch weniger) gekürzt wird. Die Pflegemitarbeitenden müssen daher schneller arbeiten, um die eigene Gehaltssteigerung „zu verdienen“.

Die Regelungen des Tariftreuegesetzes wurden geschaffen, um durch eine massive Steigerung der Gehälter der Pflege-Mitarbeitenden den Beruf attraktiver zu machen. „Wenn jedoch eine Leistungsverdichtung die Antwort auf mehr Gehalt ist, wird die Attraktivitäten nicht zunehmen, im Gegenteil. Die weiter steigende Hetze im Kundeneinsatz führt zu einer Belastung der Mitarbeitenden und einer sinkenden Berufsattraktivität in der ambulanten Pflege und Betreuung. Also das Gegenteil von dem, was der Gesetzgeber erreichen will.“, stellt Thomas Eisenreich, Geschäftsführer des BBD fest.  

Und weiter: „Ambulante Pflege- und Betreuungsdienste mit stundenweiser Versorgung rechnen nach Zeit ab. 60 Minuten bleiben 60 Minuten. Die sind auch den Mitarbeitenden nach dem Arbeitsrecht 1:1 zu vergüten – auch mit den steigenden Gehältern.“ Eine von den Pflegekassen immer wieder geforderte Leistungsverdichtung kann nicht erfolgen, da die Maßeinheit die Zeit ist. Der BBD weist daher darauf hin, dass eine unwirtschaftliche Leistungserbringung, wie sie die Pflegekassen zu erzwingen scheinen, die Versorgung von bis zu 50.000 Menschen mit Pflege- und Betreuungsbedarf akut gefährdet.

Pflege- und Betreuungsdienste versorgen zeitintensiv solche Menschen, die ansonsten regelhaft in die stationäre Pflege aufgenommen werden müssten. Bricht die ambulante Betreuung und Pflege weg, werden die Wartelisten in der stationären Pflege noch länger und der Pflegenotstand wird für viele pflegende und sorgende Angehörige massiv spürbar. Gerade Angehörige von an Demenz erkrankten Menschen werden dadurch erheblich stärker physisch und psychisch als heute belastet, mit schweren Folgen für deren Gesundheit und entsprechende Kosten im Gesundheitswesen.

Jörg Veil führt aus, „Wenn die Dienste aufgrund fehlender Refinanzierung durch die Pflegekassen nur noch Privatzahler annehmen können, dann entscheidet das Portemonnaie über eine ausreichende ambulante Pflege- und Betreuung. Das kann ebenfalls nicht Ziel eines solchen Gesetzes sein, die Pflegeversicherung wurde mit dem Ziel geschaffen, genau das zu verhindern und Menschen die Angst vor dem Älterwerden zumindest in finanzieller Hinsicht zu nehmen.“

Daher fordert der BBD die Pflegekassen auf, die Überleitungen der Vergütungen unter Anerkennung der steigenden Gehaltskosten so zu ermöglichen, dass die ambulanten Dienste wirtschaftlich arbeiten können und die steigenden Gehälter, die sie zahlen wollen, auch zahlen können. Zudem ruft der BBD die Bundes- und Landespolitik und deren Ministerien auf, die Selbstverwaltung aufzufordern, die gesetzlichen Vorgaben umzusetzen.